Wohnen in der Wiege der Industrie – das Großprojekt „Entwicklung Mülheimer Süden“

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Vielen von uns wird vermutlich nicht das riesige Areal am Mülheimer Ufer entgangen sein, auf dem sich alte Klinker-Industriehallen, Brachflächen und Geröllhügel abwechseln. Was dort zu sehen ist, ist das ehemalige Gelände der Deutzer Gasmotoren Fabrik (sowie Zulieferern) und ein Stück Industriegeschichte: dort wurde der Otto-Motor erfunden, produziert und in die Welt getragen!

Heute ist wenig übrig vom industriellen Erbe, das 1845 begann und 2005 mit der Schließung der letzten Fabrik auf dem Areal endete: Was nicht bereits dem Erdboden gleichgemacht wurde, ist dem Verfall preisgegeben. Einige wenige Gebäude sind oder waren trotzdem mit Leben gefüllt: Dort haben Initiativen, Ateliers und Veranstaltungsräume eine (temporäre) Heimat gefunden.

Was schon heute in verschiedenen Computer-Renderings zu bestaunen ist, ist die Zukunft des Geländes: Hier sollen nach und nach gleich mehrere neue Wohnquartiere mit insgesamt 4500 Wohneinheiten, Gewerbe-, Kultur- und Grünflächen auf der vermutlich letzten großen vormaligen Industriefläche im innenstädtischen Köln entstehen. – Wohnraum, den die Stadt und ihre Bewohner:innen so dringend brauchen.

Doch was genau geschieht dort eigentlich, am letzten großen Filetstück direkt am Rhein?

Wir möchten Ihnen mit diesem Artikel einen kurzen Überblick über die Geschichte rund um die Entwicklung des Gebiets geben:

Die 46 Hektar Land zu entwickeln ist ohne Zweifel ein komplexes Aufgabenfeld, denn schließlich soll hier quasi aus dem Nichts lebenswerter Stadtraum entstehen, der sich idealerweise in den Bestand zwischen der Messe und dem Wienerplatz einfügt.

Die Anforderungen sind hoch: Vielfältiger Wohnraum in unterschiedlichen Preiskassen, Sozial- und Bildungseinrichtungen, Grünflächen, öffentliche Begegnungsorte, Frischluftschneisen Hochwasserschutz, Denkmalschutz, Mobilitätsinfrastruktur, Gewerbe- und Büroflächen sollen zu einem stimmigen Gesamtkonzept fügen. Eine der Schwierigkeiten besteht auch darin, dass das Areal in 7 Teilgebiete unterteilt wurde, die jeweils von anderen Investoren entwickelt werden. Um die Planungen besser koordinieren zu können wird das Großprojekt deshalb von einer ständigen Jury begleitet, die den Entwicklern in städtebaulichen Fragen beraten. In den Jahren 2013 und 2014 fanden zudem Planungswerkstätten statt, bei denen unter Beteiligung der Öffentlichkeit die Rahmenbedingungen gesetzt wurden (wobei erwähnt werden sollte, dass auch die reine Offenlegung von bereits festgelegten Entscheidungen als Öffentlichkeitsbeteiligung eingeordnet wird und per Gesetz vorgeschrieben ist – nähere Informationen zum sogenannten Bauleitplanverfahren finden Sie hier: https://www.bauportal.nrw/bauleitplanung/informationen-zur-bauleitplanung/bauleitplanverfahren ).

Zurück zur angestrebten sozialen Durchmischung der neuen Quartiere. Bekanntermaßen ist das Wohnen dort, wo von Investoren, mit dem Ziel Gewinne zu erwirtschaften, neu gebaut wird das Privileg des Erstbezugs eher nicht der breiten Masse der Bevölkerung zugedacht, für die die Immobilienpreise meist weit entfernt von der eigenen Lebensrealität liegen. In Köln hat sich die Lage mittlerweile so weit zugespitzt, dass etwa die Hälfte der eine Millionen Kölner:innen berechtigt wäre, geförderten Wohnraum beziehen zu dürfen (!). Demgegenüber fallen aktuell gerade einmal 6% des Wohnungsbestands unter diese Kategorie (2022) – ein eklatanter und wohlbekannter Mangel, dem die Politik in jedem neuen Wahlkampf mit großen Versprechungen begegnet. Doch nicht alles ist bloßes Gerede, dies allein zu behaupten wäre ebenfalls ungerecht. 2014 wurde durch den Rat das sogenannte „kooperative Baulandmodell“ verabschiedet. Kern der Maßnahme ist die Vorgabe zur Schaffung von mindestens 30% geförderten Wohnraums im Rahmen von Neubauprojekten (detaillierte Informationen unter: https://www.stadt-koeln.de/artikel/62175/index.html). Fraglich ist hierbei jedoch leider, wie hoch dieser Prozentsatz letzten Endes tatsächlich ausfällt, da es diverse Schlupflöcher für Unternehmen gibt, den Anteil zu senken. Etwa die Hälfte aller Kölner:innen wäre berechtigt eine geförderte Wohnung beziehen zu können. Der Anteil geförderten Wohnraums im gesamten Kölner Wohnungsmarkt beträgt zwischen 6 und 7 %. (https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf15/statistik-bauen-und-wohnen/ksn_3_2023_wohnungsbau_2022_ba.pdf oder https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1315037/umfrage/anteil-der-oeffentlich-gefoerderten-mietwohnungen-in-koeln/).

Wie steht es aktuell mit der Entwicklung des Areals?

Auf Grund der erwähnten Stückelung in die sieben Teilbereiche befinden sich die einzelnen Projekte in sehr unterschiedlichen Stadien. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von ausstehenden politischen Beschlüssen, etwa zu Änderungen in Flächennutzungsplänen (https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/26314/index.html ), auch Insolvenzen und Eigentümerwechsel führen zu einem eher schleppenden Fortschreiten des Projekts, indem Planungsschritte teilweise revidiert und wiederholt werden müssen – dies geht soweit, dass teilweise bereits errichtete Rohbauten, seit Jahren verlassen dem Verfall preisgegeben sind und vermutlich sogar wieder abgerissen werden..

Auch bezüglich des Verbleibs der zahlreichen kulturellen Akteure kam und kommt es zu immer wieder zu Widerständen. Beispielsweise im sogenannten Windmühlenquartiers. Hier hatten sich Akteure aus Kunst und Kultur niedergelassen und für einen Erhalt ihrer Räume gekämpft – in diesem Fall vergeblich, sodass die Zukunft des Teilareals weiterhin unklar bleibt. Die Initiativen mussten indes das Feld größtenteils räumen (siehe http://www.windmuehlenquartier.de/). Ähnlich verhält es sich mit der Hafenakademie, die mittlerweile ebenfalls abgerissen wurde.

In anderen Fällen war der bürgerschaftliche Protest erfolgreicher: Ganz im Süden des Planungsgebiets, in direkter Nachbarschaft zur Messe, befindet sich das Kunstwerk bzw. das Gebäude 9, Deutschlands größtes selbstverwaltetes Künstler:innenhaus und seit 1995 vor Ort, dessen Zukunft ebenfalls durch die Pläne in direktester Nachbarschaft bedroht war. Dank dem großem Engagement des Vereins und der Unterstützer:innem, Aktionen und unzähligen Gesprächen, konnte schlimmeres verhindert und die Atelier-, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume des Gebäuderiegels erhalten werden, wenn auch genau gegenüber der Wandel des gesamten Gebiets bereits in Form eines neuen Bürokomplexes manifest geworden ist (http://www.kunstwerk-koeln.de/de/index.html).

Das Otto-Langen Quartier, das vom Verein raum13 bespielt wurde stellt eine ganz besondere Konstellation dar. Seit 2016 setzt sich der Verein raum13 e.V, neben seinem eigentlich künstlerischen Fokus, für eine gemeinwohlorientierte, prozessurale Stadtentwicklung unter Berücksichtigung der angesiedelten Akteure ein. Der große Traum besteht darin, das Gelände als Leuchtturmprojekt für experimentelle Bau, Wohn- und Lebensarrangements zu nutzen und Kunst und Kultur als Antriebsmotoren dieser Entwicklung zu etablieren. Doch bevor man überhaupt wagt an dieser Utopie weiterzudenken, gibt es einige Hürden zu überwinden: Das Areal befindet sich im Besitz des landeseigenen Gesellschaft NRW.URBAN. ein Teil davon wurde zunächst an ein privates Entwicklungsunternehmen veräußert, sodass die Pläne einer gemeinwohlorientierten Planung sich nun nicht mehr vollständig in den Händen der Stadt befanden. – Anlass genug für raum13  in Aktion zu treten: Zukunftswerkstätten wurden veranstaltet, Veranstaltungen organisiert und unzählige Gespräche geführt um die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung dazu zu bewegen, sich auf das kommunale Vorverkaufsrecht zu berufen oder gar einen Direktverkauf des restlichen Areals durch die Kommune zu beschließen. Die Politik habe man größtenteils überzeugen können, sodass das bereits an den privaten Investor verkaufte Gelände für 21 Millionen Euro in 2021 zurückgekauft wurde. (siehe https://www.raum13.com/otto-langen-quartier-stadt-koeln-will-grundstueck-vom-land-kaufen/). Der Wehmutstropfen: Der Verein musste dennoch, trotz großer Proteste und einem breiten Unterstützer:innennetzwerk, das sich zu diesem Zeitpunkt noch in Besitz eines privaten Investors befindliche Gelände räumen – aktuell einigen sich Stadt und raum13 (stellvertretend für eine ganze Reihe von Initiativen, die sich in Zukunft dort ansiedeln sollen) über die Konditionen eines Mietvertrags, durch den mehrere Gebäude auf dem Teilareal offiziell durch die kulturellen Akteure übernommen werden können. Die übrigen Flächen sind weiterhin Landeseigentum. Auch hier gibt es Bestrebungen das Vorverkaufsrecht oder den Direktkauf in Anspruch zu nehmen, doch stehen hier noch baurechtliche Hürden im Weg. Im Kern sei die Verwaltung am Zug, ein gemeinwohlorientiertes Entwicklungskonzept auszuarbeiten, um die Bedingungen zum Erwerb unter den Sonderbedingungen zu ermöglichen. Weitere damit in Verbindung stehende Ratsbeschlüsse stehen aus und werden seit mehreren Sitzungen immer wieder aufgeschoben.

Einfluss nehmen auf investorengetriebene Stadtentwicklung – aber wie?

Da die Großbaustelle entlang des Mülheimer Ufers nicht für sich allein als abgeschlossene Einheit bestehen wird, sondern Teil wird eines bestehenden Gefüges zwischen Deutz, der Stegerwaldsiedlung und den Nachbarschaften um den Wiener Platz, sind auch die dort bereits lebenden Menschen und Institutionen von den Auswirkungen des neuen Quartiers betroffen. Selbstverständlich zählt auch die Planung sozialer und kultureller Einrichtungen und die An- und vor allem auch Einbindung in das Umfeld. Trotzdem werden immer wieder auch Stimmen laut, die so manche Planung als das bloße Abhaken stadtplanerischer Checklisten kritisieren, die den Umständen vor Ort wenig Rechnung trägt.

Um den Akteuren vor Ort eine Stimme zu geben und allen Interessierten ein Forum zu bieten, gründete sich 2021 der Arbeitskreis „Entwicklung Mülheim Süd“, koordiniert von der Sozialraumkoordination im angrenzenden Gebiet. Der Wunsch ist es, das Quartier so gestalten, dass eine tatsächliche soziale Mischung entstehen kann alte und neue Nachbarn leicht zueinander finden können und die Lebensräume sich miteinander verflechten können. Beispielweise sieht die bisherige Planung vor, geförderten und regulären Wohnraum voneinander zu trennen. Sollte dies umgesetzt werden, so die Befürchtung, sind „Ghettoisierungseffekte“ zu erwarten: Sozial weniger gut aufgestellte Menschen werden wortwörtlich an den Rand gedrängt – ein soziales Miteinander wird dadurch unwahrscheinlich. Die Akteure des Arbeitskreises möchten mit Planenden und Investoren das Gespräch suchen, um auf dererlei wahrgenommene Missstände aufmerksam zu machen und im besten Fall Einfluss auf die Planungen zu nehmen.

So trifft sich der Arbeitskreis vierteljährig um die neuesten Projektschritte und politischen Entscheidungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. Doch wie viel Gestaltungsmacht können die Menschen vor Ort tatsächlich aufbauen? Neben kreativem Protest, dem Verfassen von an Politik und Verwaltung gerichteten Stellungnahmen und dem Suchen von Gesprächen, werden die Entscheidungen eben an anderer Stelle getroffen – meist hinter verschlossenen Türen. Trotzdem, oder genau deswegen, trifft sich der AK weiter um genau die kritischen Fragen zu stellen und Anregungen einzubringen, die so wichtig sind für eine lebendige Demokratie!

Wie immer bleibt es spannend die Entwicklungen zu beobachten und zu hoffen, dass dort, im ehemaligen Industriegebiet ein lebenswerter und lebendiger Stadtraum entsteht!

Weitere Informationen, wie auch eine umfassende Broschüre der Stadt zum Projekt finden Sie hier:

https://www.stadt-koeln.de/artikel/60997/index.html

Alles rund um den Sozialraum Mülheim Süd, sowie Termine des AKs finden Sie auf den Seiten der Sozialraumkoordination:

https://buchforst-muelheim-sued.sozialraumkoordination.koeln/3275/ak-entwicklung-muelheim-sued.html

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